
Ist Physiotherapeut ein guter Beruf?
Ist Physiotherapeut ein guter Beruf? Wenn Sie die Mutter eines herangehenden Erwachsenen sind, der bald seinen Abschluss macht
Wenn Sie die Mutter eines herangehenden Erwachsenen sind, der bald seinen Abschluss macht und sich unsicher ist, welchen Berufsweg er einschlagen soll, oder sich selbst in der Lage wiederfinden vor einer Karriere-Kreuzung mit hunderten von Richtungen und Möglichkeiten zu stehen, oder unglücklich in Ihrem Beruf sind und mit dem Gedanken einer Umorientierung spielen, oder aber einfach nur Interesse verspüren, mehr über sich selbst und Ihren Bezug zu „sozialen Berufen“ -wie diese genannt werden- zu erfahren, dann werden Sie mit hoher Wahrscheinlichkeit, von diesem Artikel profitieren.
Glücklicherweise ist das Leben, ein sehr vielschichtiges und undurchschaubares Konstrukt, weshalb sich die meisten großen Fragen, wie zum Beispiel „welcher Beruf ist der richtige für mich“ nicht mit einem einfachen „ja“ oder „nein“ beantworten lassen.
Deshalb erlauben Sie mir zunächst, Ihnen die Dinge aus meiner Perspektive zu erzählen, damit Sie Ihre eigene Meinung dazu bilden können.
VORWORT
Dieser Artikel ist entstanden, da mir im Laufe der letzten Jahre immer häufiger, die standardisierte und dennoch besondere Frage -ob denn Physiotherapeut ein guter Beruf sei und ob ich zufrieden mit ihm bin- gestellt wurde. Tatsächlich handelte es sich bei den Fragestellerinnen nicht selten um die Mütter junger Erwachsener, dessen „Kinder“ – sofern man sie noch so nennen darf- gerade die schulische Laufbahn beendet haben und nun in Ungewissheit schweben, mit welcher Tätigkeit sie die künftigen Jahre ihres Berufslebens verbringen möchten.
Zugegebenermaßen ging es mir genau so, und zwar ganze 7 Jahre. Direkt nach meinem Abschluss, habe ich angefangen an allen möglichen Orten ohne eine Ausbildung zu arbeiten. Die Arbeit war stets hart und hatte trotz allem kein gutes gesellschaftliches Ansehen — aber ich verstand das Konzept von:
– Zur Schule gehen
– Eine Ausbildung oder Studium machen
– Bis zur Rente arbeiten
– Alt und krank in einer Pflegeeinrichtung dahinscheiden
einfach nicht.
Ehrlich gesagt ist es mir auch bis heute keine attraktive oder gar motivierende Perspektive, um morgens aus dem Bett aufzustehen.
Dennoch kam ich recht schnell zu dem Schluss, dass „das hier“ nicht alles sein kann.
Das innere Verlangen nach mehr Komfort und Spaß im Leben — aber vor allem die ungemütlichen Situationen wie zum Beispiel, in der Wintersaison von morgens bis abends bei eisiger Kälte auf Baustellen arbeiten zu müssen und abends in einem muffigen Hotelbett einzuschlafen, oder aber Tag für Tag wie ein Roboter am Fließband einer ohrenbetäubenden Maschine zu stehen, haben mich relativ schnell gelehrt, das ich ganz dringend etwas ändern muss.
Zahlreiche halbherzige Versuche nach dem Konzept des „Schnell-reich-werdens“ später, habe ich diese Art des Vorgehens zunächst auf Eis gelegt und mich darauf konzentriert etwas „mit Substanz“ anzugehen. Einen Ausbildungsberuf, zum Beispiel. Und im besten Falle etwas, das zu mir passt.
DIE AUSBILDUNG
Lassen Sie mich hier zunächst ganz objektiv schildern, womit Sie, Ihre Familienangehörigen, Freunde oder Bekannte in der Ausbildung rechnen dürfen:
– Viel praktische Arbeit am und mit Menschen
– Sehr unangenehme, aber auch sehr bereichernde Situationen
– Neue Erkenntnisse über sich selbst und das menschliche Wesen
– Vieeeeel fachliches Know-How, ganz besonders in Sachen Anatomie und Physiologie
– Zahlreiche Partys mit ritualisierten Physio-Spielen
– Frust und Verzweiflung durch den Lernstoff erdrückt zu werden
– Zusammenhalt, Teamgeist & Nähe
Und im großen und ganzen eine tolle und bereichernde Zeit.
Ja, zugegebenermaßen sind diese Punkte nicht alle ganz objektiv, doch der Großteil von ihnen sollte doch ziemlich gut auf die meisten Physiotherapieschulen zulande zutreffen.
Jemand sagte mal zu mir: „Ihr Physios seit schon irgendwie eine Sekte.“
Zum damaligen Zeitpunkt hatte ich es wie einen Witz genommen, obwohl ich genau wusste und fühlte, was die Person meinte.
Unter einigen Berufsgruppen existiert möglicherweise eine unsichtbare Spannung oder Energie, die bei Außenstehenden, nicht involvierten Personen abwesend zu sein scheint. Vielleicht hängt es auch damit zusammen, das Person A der gleichen Berufsgruppe weiß, was ihr Gegenüber, Person B „durchgemacht“ hat, oder gerade durchmacht und deshalb sind beide „aufeinander abgestimmt“ sind. Die beiden Menschen schwingen auf der derselben Frequenz, könnte man sagen.
Das bedeutet jedoch keineswegs, das man sich dadurch automatisch versteht oder sympathisch findet, aber wenn man über tausende von Stunden hinweg, abzusehen von der Ausbildung selbst, sehr ähnliche Situationen durchgestanden hat, besteht eben diese besondere Energie.
Um nochmal zu der Ausbildung selbst und der Frage ob ich sie denn weiterempfehlen würde, zurück zu kommen: Definitiv, JA.
Diese drei Jahre verbringt man tatsächlich als ein Team, ob groß oder klein – alleine geht es kaum. Erst in dieser Ausbildung habe ich gelernt, was es heißt, Bestandteil eines Teams zu sein und was Zusammenhalt wirklich bedeutet – vorher war es stets nur ein Wort in Stellenanzeigen, wie der Chef seinen Arbeitnehmer gerne hätte. Ich gehe bewusst nicht, auf die genauen inhaltlichen oder organisatorischen Pros und Contras der Ausbildung ein, da jede Fachrichtung und Institution ihre Stärken und Schwächen aufweist. Der menschliche Aspekt zwischen den Schülern jedoch, ist meiner Meinung unnachahmbar.
DER BERUF
Über meine langjährige Berufserfahrung kann ich nicht viel sagen, da sie sich auf bloß 12 Monate beschränkte.
Doch schon nach dieser kurzen Zeit zeichnete sich in meinen Augen das ewig währende Hamsterrad ab, indem ich mich schon vor meiner Ausbildung zum Physiotherapeuten, befunden habe und abmühen sollte.
Ach ja, das gute alte Hamsterrad. Man tauscht seine Zeit gegen Geld, soll seinen Lebensstandard runterschrauben damit man das was übrig bleibt noch irgendwie investieren oder sinnvoll anlegen kann, um seine Rentenzeit nicht in Armut zu verbringen — oder gar Schulden zu hinterlassen. Bringt hauptsächlich der Firma Umsatz und nicht sich selbst. Muss den Vorgesetzten um Erlaubnis fragen, wenn man neue tolle Ideen hat, und und und.
Aber das könnte man auf fast jede Art des Angestellten-Daseins beziehen und ich möchte in diesem Feld keineswegs den Beruf des Physiotherapeuten schlecht reden.
Mir gefällt einfach nicht diese Art des Systems — es ist öde, unmotivierend und hart.
Vor einigen Jahren beim Rhein in Flammen in Köln, habe ich ein altes Pärchen nachts in der Stadt, nachdem der Trubel schon vergangen war, Pfandflaschen aus Mülltonnen sammeln sehen — und das hat mir buchstäblich das Herz gebrochen. Nicht das ich nicht vorher schon der Armut begegnet war, doch dieses Mal war es irgendwie anders.
Ich bin mir nicht sicher, ob es der Aspekt war, dass die beiden womöglich ihr Leben lang fleißig für verschiedene Unternehmen arbeiteten und diesen Umsatz brachten und nun Pfandflaschen aus Mülltonnen sammelten um zu überleben. Oder aber weil der Ehemann -sofern sie verheiratet waren- seine Ehefrau lautstark und schon fast boshaft angefaucht hat, das sie sich doch beeilen solle, weil sie schnell weiter müssten.
Ich kann bis heute nicht wirklich sagen, welchen von diesen beiden Aspekten ich schlimmer finde. Das dass Ehepaar ihre alten Jahre auf diese Weise verbringt bis der Tod eintritt, anstatt im Garten den Enkeln beim Spielen zuzusehen, oder aber das eine zusätzliche emotionale Belastung auf deren beiden Schultern lastet, da sie sich zusammen in einer sehr unbequemen Situation wiederfinden und sich dies allzeit präsent in Ihrer Beziehung zueinander wiederspiegelt. Ich glaube es ist tatsächlich letzteres.
Stellen Sie sich nur vor, Ihre arme Großmutter würde so ihr Überleben sichern. Und wahrscheinlich würde sie es auch noch vor Ihnen verheimlichen, weil es ihr unangenehm wäre.
IHR BERUF
In nahezu jedem Beruf ist es möglich viel Geld zu verdienen, oder aber wenig. In jedem Beruf ist es möglich, glücklich oder unglücklich zu sein.
Wenn zwei Personen den gleichen Beruf ausüben, kann Person A überaus gutverdienend und glücklich sein, Person B aber unterbezahlt und deprimiert.
Es kann auch sein das Person A gutverdienend, aber unglücklich ist. Und Person B gilt als unterbezahlt, startet jedoch jeden morgen mit einem strahlenden Lächeln in den Tag.
Was ich damit sagen möchte, ist das es viel weniger um den Beruf geht, den Sie ausüben, sondern vielmehr um Ihre innere Einstellung.
Dient das, was Sie tun einem höheren Zweck? Sehen Sie einen Sinn, in dem was Sie tun? Was sind Ihre ersten Gedanken, nachdem Sie morgens wachwerden?
Es wäre zu trivial, Berufe einfach als gut oder schlecht abzustempeln, da sie selbst weder den einen, noch den anderen Zustand einnehmen können. Stellen Sie sich einen Beruf eher wie eine transparente Perle vor, die sich entweder weiß oder schwarz färbt, sobald Sie sie in die Hand nehmen. Wissen Sie hingegen nicht um die Fähigkeit Ihres Einflusses auf die Perle — dass heißt, das Ihre innere Einstellung der Perle eine neue Farbe geben kann, bleibt sie transparent. Sie nehmen sie einfach mit Nachhause und auch noch nach Monaten oder Jahren werden Sie sich nicht sicher sein, ob Sie sie noch behalten wollen oder dieses verdammte Ding einfach zurück ins Meer werfen.
Genau so, verhält es sich mit dem Unterschied zwischen Berufen und Berufung. Ein Beruf ist etwas, das sie ausüben weil sie dafür bezahlt werden und eine Berufung ist etwas, dass sie ausüben weil es für Sie einen Sinn erfüllt. Nun könnte man sagen, dass Geld verdienen auch seinen Sinn erfüllt, da die Wohnung oder das Haus, die Stromrechnung, der Urlaub und das neue Auto bezahlt werden müssen — aber wenn Sie stets ein mulmiges Gefühl auf dem Weg zur Arbeit haben und ein freudiges Gefühl wenn Sie von dort verschwinden, dann ergibt das, mit einem gesunden Menschenverstand betrachtet, keinen Sinn. Und ein Tapetenwechsel muss herbei.
DER TAPETENWECHSEL
Wie schon im letzten Teil erwähnt, gibt es einen signifikanten Unterschied zwischen dem Beruf und der Berufung.
Und leider kann niemand für Sie bestimmen, ob Sie gerade dem einen oder dem anderen nachgehen. Jedoch sind Sie selbst in der Lage, sich die Frage zu stellen ob sie so weitermachen möchten und ob es sinnvoll für Sie ist.
Für mich persönlich macht das Angestellten-Dasein mit einem Durchschnittsgehalt keinen Sinn. Ich sehe einfach keinen Sinn darin, zu arbeiten, ohne Aussicht auf Wohlstand und frei verfügbare Zeit, die ich lieber mit Reisen oder meiner Familie verbringen würde, anstatt für das System von jemand anderem zu arbeiten.
Fragen Sie sich einfach mal warum Sie arbeiten.
Etwa für Geld?
Ich möchte an dieser Stelle nicht die uralte Frage aufwerfen ob Geld alles auf der Welt ist und ob man auch nicht ohne glücklich sein kann — ich möchte dass Sie sich einfach fragen, ob Sie Ihre kostbare Zeit nicht lieber mit Ihrer Familie, Ihren Freunden, Ihrem Hobby oder etwas völlig anderem verbringen würden, wenn Sie könnten.
Denn schlussendlich gibt es nur eine Sache die ganz sicher eintreffen wird — und das ist der Tod.
Warum also heute Zeit mit dem Geldverdienen für andere verbringen, wenn man Zeit mit seinem eigenen Ding verbringen kann, bis es schließlich ein System wird, das für SIE Geld verdient?
Ist Physiotherapeut ein guter Beruf?
Wie Sie sich sicher denken können, lautet meine Antwort auf diese Frage: Es ist das, was man daraus macht.
Ich glaube persönlich das es wichtig ist, das man sich mit seinem Beruf identifizieren kann. Das man ein tieferes und vielleicht auch naturgegebenes Verständnis für die Aufgaben, die man im Rahmen seiner Tätigkeit erledigt, aufbringt. Denn dann transformiert sich der Beruf zur Berufung und der Mensch blüht auf, in dem was er tut.
In meiner ersten Ausbildungswoche, im Bildungscampus in Koblenz sollten sich zunächst alle Azubis der neuen Klassen bei den Dozenten und Lehrern vorstellen. Name, Alter, Hobbys & Interessen — aber auch warum sie sich für diesen Beruf entschieden haben. Ich habe es mir nicht anmerken lassen, fand es aber insgeheim schockierend wie unwillkürlich die Entscheidung von manchen meiner zukünftigen Mitschüler getroffen wurde. Ich kann mich nicht mehr an die genauen Wortlaute erinnern, aber sinngemäß hieß es mehrmals: „Ich hab nichts anderes gefunden und darum bin ich nun hier“.
Nun, ich möchte nicht darüber urteilen wie einzelne Menschen zu diesem Beruf gekommen sind. Es handelt sich bei diesen jungen Leuten überwiegend um Schulabgänger, welche vermutlich, wie viele von uns, von allen Seiten gedrängt wurden irgendetwas „sinnvolles“ zu lernen, anstatt weiterhin auf psychischen und physischen Selbstfindungreisen „rumzulümmeln“. Mir ging es genau so. Ich hatte es zwar nicht in diesem Artikel erwähnt, aber die allererste Zeit nach meinem Abschluss habe ich für einige Monate in einer Steuerkanzlei gearbeitet. Undzwar als Steuerfachangestellten-Azubi.
Diese Erfahrung hat mich gelehrt, das weder Eltern, noch gesellschaftliche Erwartungen, die Entscheidung der Berufswahl beeinflussen, beziehungsweise in irgendeiner Form bedrängen sollten. Jeder Mensch sollte stets das tun, was sich richtig anfühlt. Nicht das, was öffentlich als richtig oder vernünftig deklariert wird, sondern das, was demjenigen ein aufrichtiges Gefühl von „das fühlt sich richtig an“ bereithält. Es ist nicht immer einfach zu unterscheiden, was nun der richtige Weg ist, aber etwas zuverlässigeres als die eigene innere Stimme, gibt es meiner Meinung nach nicht. Wenn Sie seit einiger Zeit nicht mehr in Dialog mit Ihrer inneren Stimme kommen und diese verstummt ist, lege ich Ihnen wärmstens ans Herz verschiedene Methoden auszuprobieren um sich wieder mit ihr anzufreunden. Um welche Methoden es sich dabei handelt, ist allein Ihnen überlassen.
In diesem Sinne, um wieder auf den eigentlichen Antrieb für das Schreiben dieses Artikels zurück zu kommen: Falls Sie die Mutter eines heranwachsenden Erwachsenen sind und über externe Personen versuchen Ihrem Sohn oder Ihrer Tochter einen Beruf schmackhaft zu machen: Hören Sie sofort auf damit! Hören Sie auf mit Zukunftsplänen für Ihren Nachwuchs, wie Sie sie in Ihrer Fantasie ausmalen und versuchen Sie stattdessen ein authentisches und ehrliches Verständnis dafür aufzubringen, was Ihr Kind wirklich will.
Und falls Sie zu einer der anderen Personengruppen gehören, rate ich Ihnen das, was die weltbekannte Marke Nike schon seit Jahrzehnten auf ihre Produkte prägt: JUST DO IT.
Danke fürs Lesen.
Ist Physiotherapeut ein guter Beruf? Wenn Sie die Mutter eines herangehenden Erwachsenen sind, der bald seinen Abschluss macht